Uhren aus Estland? Sogar vielen Freunden außergewöhnlicher Zeitmesser ist die junge Marke AEGAON mit Sitz in Tallinn noch unbekannt. Die kleine Firma will mit besonders großen Uhren überzeugen. Michael Brückner sprach darüber mit Kristjan Rabi, der zu den Enthusiasten zählt, die vor einigen Jahren AEGAON aus der Taufe hoben. Rabi ist unter anderem für das Marketing verantwortlich.
Uhrengourmet: Estland ist sicherlich nicht als Standort von Uhrenherstellern bekannt. Bitte erzählen Sie uns etwas über die junge Geschichte Ihrer Marke.
Rabi: Sie haben Recht, AEGAON ist seit 2012 der erste estnische Uhrenhersteller. Wir können das guten Gewissens behaupten, weil wir recherchiert und alle Informationen gründlich und mehrfach geprüft haben. Ich war der Erste, der schließlich den Entschluss fasste, mich für dieses Projekt zu engagieren. Die Idee schien verrückt genug, um es zumindest auszuprobieren. Ich bin froh, dass ich das getan habe, denn nun kann ich - sechs Jahre später – mit dem Uhrengourmet dieses Gespräch führen.
Uhrengourmet: Vielen Dank, wir freuen uns sicher ebenso wie unsere Leser, etwas über Uhren aus Estland zu erfahren. Aber wie ging es damals weiter?
Rabi: Für alle von uns handelte es sich zunächst um ein reines „Hobbyprojekt“. Wir hatten zwei Indiegogo-Kampagnen, um zu beginnen und zu sehen, ob die Welt überhaupt an unseren Designs interessiert ist (Anmerkung der Redaktion: Indiegogo ist eine internationale Crowdfunding-Website). Die Esten wussten nicht, dass wir existierten, bis ein Journalist uns im Internet eher durch Zufall entdeckte. AEGAON-Uhren haben wir jedoch von Anfang an in über 25 Ländern der Welt verkauft. Unser Hobby entwickelte sich ganz allmählich zu einem Geschäft, als wir realisierteen, dass AEGAON nicht mehr als nebenberufliches Projekt gemanagt werden konnte.
Uhrengourmet: Wie kamen Sie auf den Markennamen AEGAON – und was bedeutet er?
Rabi: Der Markenname AEGAON kommt eigentlich aus Estland und bedeutet "aega on", was übersetzt "Nimm dir Zeit" heißt.
Uhrengourmet: AEGAON bietet hauptsächlich Quarzuhren an. Ist geplant, den Anteil an mechanischen Uhren zu erhöhen?
Rabi: Die Modellreihe „Tabula Rasa“ war bis vor kurzem auch in der automatischen Version erhältlich, aber jetzt haben wir uns entschlossen, diese Automatik-Version bis auf Weiteres nicht mehr anzubieten. Der Grund: Unser Wachstum war schneller als erwartet, und eine Reihe von Entscheidungen musste getroffen werden. Daher beschlossen wir, die Automatik-„Tabula Rasa“ zumindest für eine Weile gleichsam in den Wartezustand zu versetzen. Obwohl sie gleich aussehen, können Automatik- und Quarzwerke nicht in die gleichen Gehäuse eingeschalt werden. Für Liebhaber der Mechanik haben wir die Modelle "Peacemaker 65" (Bild 1 oben) und "Peacemaker 53". Es handelt sich um übergroße skelettierte Uhren mit mechanischem Handaufzugswerk – also um Uhren der „alten Schule“. Aber wem sage ich das? Du besitzt ja selbst eine 65, Michael.
Uhrengourmet: Ja, tatsächlich. Ich liebe größere Uhren; und daher bereichert die 65 seit einiger Zeit meine Sammlung. Welche Werke baut Ihr bei AEGAON ein?
Rabi: Für die "Tabula Rasa" verwenden wir Swiss Ronda 715, da es sich um ein langlebiges und zuverlässiges Arbeitstier handelt. Für die Automatikversion verwendeten wir ursprünglich das japanische Werk Miyota 8215. Wenn wir die Automatik-"Tabula Rasa" künftig wieder ins Programm nehmen sollten, werden wir sie wahrscheinlich mit einem Schweizer Werk ausstatten. Es ist eben einfacher, Uhren mit Schweizer Werken zu verkaufen.
Für die „Peacemaker 65“ und „53“ müssen wir einen ETA UNITAS-Klon mit Ursprung in Hongkong verwenden. Zuerst haben wir das Schweizer Original-ETA-Werk verwendet, bis die Swatch Group beschloss, alle Hersteller außerhalb der Swatch-Gruppe nicht mehr oder nicht mehr im benötigten Umfang zu beliefern. Im Grunde mussten wir uns also entscheiden, den „Peacemaker“ komplett selbst zu bauen, was mit erheblichen Investitionen verbunden gewesen wäre, oder eine Alternative zu suchen. Wir haben uns für die Alternative entschieden. Wir haben in Frage kommende Alternativen getestet und Meinungen zum Seagull-Klon erhalten, der technisch genauso gut ist wie das Schweizer Original - und in mancher Hinsicht sogar noch besser. Der einzige Nachteil ist, dass wir im Vertrieb und im Marketing nichts „Schweizerisches“ dazu sagen können. Wir wissen, dass viele Uhrenfreunde skeptisch sind, sobald sie erfahren, dass Werke aus China eingebaut werden. Dieselben Leute sind aber oft stolze Besitzer eines I-Phones – und die werden bekanntlich in China produziert. Außerdem müssen wir unseren Kunden erklären: Es gibt verschiedene Arten von chinesischen Werken, und die „Möwe“, also Seagull, hat eine lange Tradition in der Herstellung von Qualitäts-Werken. Wir würden diese Werke nicht verwenden, wenn wir nicht so sicher bezüglich der Qualität wären.
Uhrengourmet: Der skelettierte „Peacemaker“ hat einen Durchmesser von atemberaubenden 65 Millimetern. Das ist sicherlich bemerkenswert. Wer gehört zur Zielgruppe dieses Modells?
Rabi: AEGAON begann eigentlich mit dem „Peacemaker 65“. Es war unser erster Entwurf und er hat uns sozusagen auf den Markt gebracht. Der „Peacemaker 65“ hat im Grunde zwei Zielgruppen: Zum einen stattliche Männer mit großen Handgelenken. Der heutige Uhrenmarkt bietet für diese Kunden nur eine überschaubare Anzahl von Möglichkeiten. Viele Hersteller haben den Fernost-Kunden im Blick und bieten zunehmend Uhren mit kleineren Durchmessern. Diese normalen Größen passen einfach nicht an ein starkes Handgelenk, und wenn, dann sehen sie aus wie Damenuhren. Die andere Zielgruppe sind Männer, die Charakter haben und kein Problem damit, es zu zeigen. Die Sache mit dem „Peacemaker 65“ ist, dass er nicht zu jedem passt. Du hast entweder den Charakter dafür oder nicht. Wenn man nicht den passenden Charakter hat und einfach nur eine große Uhr zeigen möchte, würde man damit lächerlich aussehen. Deshalb liegen wir mit dem Design des „Peacemaker 65“ genau richtig, und die Leute lieben sie – gerade, weil sie nicht jedermanns Sache ist.
Uhrengourmet: Welches sind die führenden Absatzmärkte?
Rabi: Nun, dank des Internets ist unser Markt so ziemlich der ganze Planet. Mitunter erhalten wir eine Bestellung aus Barbados, an einem anderem Tag aus Taiwan und so weiter. Es ist jedoch kein Geheimnis, dass unsere führenden Absatzmärkte Estland und Finnland sind. Deutschsprachige Länder sind schwieriger, weil die dortigen Uhrenfreunde mit all den bekannten Schweizer und deutschen Marken einen so starken Heimatmarkt haben. Wir haben auch gelernt, dass die Deutschen ihre Ausgabengewohnheiten im Vergleich zu einigen anderen Nationen vorsichtiger und kalkulierter gestalten. Wenn sie beispielsweise eine Uhr kaufen, kaufen sie sie oft auf Lebenszeit und haben sehr hohe Qualitätsansprüche.
Uhrengourmet: Wie unterscheidet sich AEGAON von anderen Marken?
Rabi: AEGAON bietet den Menschen, die etwas anderes suchen, eine Alternative zu den herkömmlichen Uhrendesigns. Wir sind gut im Geschäft mit diesen Kunden. Ich denke, wir haben alle übertriebenen Details und „Blings“ aus dem klassischen Design entfernt und durch Charakter und vielleicht sogar ein wenig Testosteron ersetzt. AEGAON folgt keinen Trends. Wir möchten, dass unsere Designs zeitlos sind. Dies ist gelungen, weil die Leute immer noch die gleichen Designs wie vor sechs Jahren kaufen. Ich denke, einer der Unterschiede ist auch, dass AEGAON nicht versucht, eine Luxusmarke zu sein. Deshalb sind unsere Designs auch nicht luxuriös - stattdessen sind sie minimal, stark und mit erkennbaren Eigenschaften. Sie können AEGAON nicht mit anderen verwechseln. Unsere Designs sind immer noch klassisch, aber mit einigen modernen Eigenheiten. Zum Beispiel die Krone, die sich bei 9 oder 10 Uhr in einer unüblichen Position befindet, anstelle von 3 Uhr. Das ist vorteilhaft für das Handgelenk, da sich die Krone nicht in den Handrücken gräbt. Unsere Qualität wurde mit der Schweiz verglichen, und das liegt wahrscheinlich daran, dass wir alle Uhren mit viel Sorgfalt und Präzision selbst zusammenstellen und dabei hochwertige Komponenten und Materialien für unsere Produkte verwenden. Es ist unnötig zu erwähnen, dass die Aufrechterhaltung eines hohen Qualitätsniveaus für uns extrem wichtig ist, wenn wir langfristig in diesem Geschäft sein wollen.
Uhrengourmet: Wie sehen die mittelfristigen Zukunftspläne aus? Welche Mengen werden angestrebt?
Rabi: Wir sind der Meinung, dass wir uns auf unserem lokalen estnischen Markt sehr gut etabliert haben. Ab 2019 dreht sich alles um den finnischen Markt, da wir immer mehr positive Reaktionen und Interesse aus dieser Richtung erhalten. Wir haben uns von 100 Uhren zu 200 und 1000 Uhren pro Jahr entwickelt. Ich machte keinen Scherz, als ich sagte, dass wir immer noch ein kleines Unternehmen sind. Wir können jederzeit Änderungen in unserer Produktionslinie vornehmen, um die Mengen zu erhöhen. Und wir werden es bereits 2019 tun. Wenn die Nachfrage wächst, wachsen wir.
Uhrengourmet: Wer ist der Inhaber Ihrer Marke?
Unsere Marke gehört den drei Gründern von AEGAON. Wir haben alle Investoren abgelehnt, nur um bei allen Entscheidungen, die wir treffen, unabhängig zu sein. Wir haben uns ein lustiges und freundliches Arbeitsumfeld geschaffen, das für uns viel wertvoller ist als rasch wachsende Zahlen. Ich denke, es lässt sich sagen, dass wir uns "Zeit lassen".
Fotos: AEGAON